Lexikon, zuletzt bearbeitet am: 25.10.2024 | |
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Allgemeine Handlungsfreiheit (© thingamajiggs - Fotolia.com)
Die allgemeine Handlungsfreiheit wird aus Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) abgeleitet und gewährleistet das Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit dessen Verhalten nicht verboten ist oder in die Rechte anderer eingreift. Gleichzeitig kommt ihr als Generalklausel der Freiheitsrechte eine Auffangfunktion zu, wenn speziellere Freiheitrechte nicht einschlägig sind.
Allgemeine Handlungsfreiheit im GrundgesetzDas Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit bedeutet, dass grundsätzlich jedes Verhalten (jedes Tun oder Unterlassen) erlaubt ist, es sei denn, es ist verboten oder verletzt die Rechte anderer. Der Gesetzestext des Artikel 2 Absatz 1 GG spricht zwar von der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen und nicht ausdrücklich von etwaigen Handlungen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied jedoch bereits im Jahr 1957 im sogenannten Elfes-Urteil, dass Artikel 2 Absatz 1 GG eine allgemeine Handlungsfreiheit schütze (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957 – Az.: 1 BvR 253/56; siehe weitere Details unten unter sachlicher Schutzbereich).
Seine Funktion als „Auffanggrundrecht“ bedeutet, dass Artikel 2 Absatz 1 GG immer dann einschlägig ist, wenn andere speziellere Freiheitsrechte nicht vorhanden sind oder im konkreten Sachverhalt die Voraussetzungen der spezielleren Grundrechte nicht erfüllt sind, wobei letzteres durchaus umstritten ist. Speziellere Freiheitsrechte sind etwa:
JuraForum.de-Tipp: Da die speziellen Freiheitsrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit vorgehen, sollten diese auch zuerst geprüft werden, bevor eine Prüfung des Artikel 2 Absatz 1 GG in Betracht gezogen wird.
Abzugrenzen ist die allgemeine Handlungsfreiheit beziehungsweise die freie Entfaltung der Persönlichkeit vom sogenannten allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG ableitet.
Schutzbereich Persönlicher SchutzbereichDie allgemeine Handlungsfreiheit ist ein sogenanntes „Jedermann“-Recht. Somit ist der persönliche Schutzbereich nicht auf deutsche Staatsbürger beschränkt, sondern erfasst jeden Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, also auch Ausländer. Nach Artikel 19 Absatz 3 GG können auch juristische Personen Träger dieses Grundrechts sein, soweit es seinem Wesen nach auf die juristische Person angewendet werden kann. Nicht erfasst sind juristische Personen des öffentlichen Rechts.
Adressat sind gemäß Artikel 1 Absatz 3 GG die Exekutive, Legislative und Judikative (die „staatliche Gewalt“).
Sachlicher SchutzbereichDurch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der sachliche Schutzbereich sehr weit auszulegen, da diese von einer allgemeinen Handlungsfreiheit des Einzelnen ausgeht und insofern jedes menschliche Verhalten in den Schutzbereich fällt (s.o.). Erfasst werden daher zum Beispiel:
Vertragsfreiheit
Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr
Ausreisefreiheit
Banale Aktivitäten wie das „Reiten im Walde“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Juni 1989 – Az.: 1 BvR 921/85).
Eine Besonderheit ergibt sich zudem im Hinblick auf Bürger der Europäischen Union: Da Artikel 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein Diskriminierungsverbot enthält, wird Unionsbürgern durch Artikel 2 Absatz 1 GG aufgrund der unionsrechtskonformen Auslegung ein Schutz gewährt, der einem sonst nur Deutschen zustehenden Grundrecht (sog. „Deutschengrundrechte“) wie zum Beispiel der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 GG entspricht.
Eingriff in die allgemeine HandlungsfreiheitDa der Schutzbereich des Artikel 2 Absatz 1 GG so weit gefasst ist, liegt ein Eingriff in den Schutzbereich im Grunde durch jedes den Grundrechtsträger belastende staatliche Handeln (sowohl Gebote als auch Verbote) vor, das dem Betroffenen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich des Grundrechts fällt, erheblich erschwert oder unmöglich macht. Die Erheblichkeitsschwelle ist erforderlich, da es sonst zu einer Ausuferung der erhobenen Verfassungsbeschwerden käme.
An sich führt auch jede falsche Rechtsanwendung durch die Gerichte zu einem Eingriff. Um zu verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht auf diesem Weg zu einer Superrevisionsinstanz wird, beschränkt sich seine Prüfung darauf, ob im konkreten Fall spezifisches Verfassungsrecht verletzt wurde.
Rechtfertigung Allgemeine Handlungsfreiheit und SchrankentriasDie allgemeine Handlungsfreiheit steht unter einem verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt, der sich direkt aus Artikel 2 Absatz 2 Halbsatz 2 GG ergibt und entsprechend der Weite des Schutzbereiches ebenfalls sehr weit gefasst ist. Halbsatz 2 enthält gleich drei Schranken, weswegen der Vorbehalt auch oft als „Schrankentrias“ bezeichnet wird. Nach dieser Schrankentrias wird dem Einzelnen seine allgemeine Handlungsfreiheit nur gewährt, wenn es dadurch nicht zu
Verletzungen der Rechte anderer,
Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder
Verstöße gegen das Sittengesetz kommt.
Die verfassungsmäßige Ordnung meint dabei nicht nur den Verfassungstext selbst, sondern alle Gesetze und Normen, die formell und materiell verfassungsmäßig sind (zum Beispiel verfassungsmäßige Gesetze des Bundestages und der Länderparlamente oder etwa Rechtsverordnungen und Satzungen). Dieser Schranke kommt in der Praxis die größte Bedeutung zu.
Die Rechte anderer beziehen sich dabei auf alle subjektiven Rechte, die sich für den anderen aus dem Privat- und öffentlichen Recht ergeben. Diese sind oftmals bereits von der verfassungsmäßigen Ordnung erfasst. Das Sittengesetz erfasst die unbestimmten Rechtsbegriffe der „guten Sitten“ und „Treu und Glauben“, die jedoch ihrerseits grundgesetzkonform ausgelegt werden müssen.
Schranke-SchrankeAuch Artikel 2 Absatz 1 GG unterliegt der Schranken-Schranke des Artikel 19 Absatz 2 GG, das heißt, das Grundrecht darf durch einen an sich gerechtfertigten Eingriff nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Die wichtigste Schranken-Schranke ist die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.
Aufgrund der Weite des Schutzbereichs enthält Artikel 2 Absatz 1 GG keine Eingriffsermächtigung für den Gesetzgeber, insofern entfällt das Zitiergebot.
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JuraforumWiki-Redaktion, Rechtsanwalt Einbock
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